FAZ.NET, 13.04.2023 

Boom mit Grenzen

Tennisoffensive in Frankfurt mit Tücken

So viele eingetragene Mitglieder wie nie spielen in Frankfurt Tennis. Aber der boomende Sport stößt an seine Grenzen. In manchen Vereinen herrscht gar Aufnahmestopp. Woran liegt das?

Von Thomas Klemm

Zwischen Abstieg und Aufschwung im Frankfurter Tennis liegen zwei Kilometer Luftlinie. Südlich der Mainzer Landstraße befindet sich ein Verein, der sich SG Westend nennt, aber im Stadtteil Gallus liegt, und die beste Zeit hinter sich hat. Drei Sandplätze liegen seit Jahren brach, auf den restlichen vier ist meistens nicht viel mehr los. 54 Mitglieder hat der Verein, davon sind zwei Drittel älter als 40 Jahre. Der Nachwuchs ist null, weder Kinder noch Jugendliche aus der Umgebung spielen in dem Gallus-Klub.

Nördlich der Mainzer Landstraße, im Europaviertel, ist die Tenniswelt eine andere: lebhafter, internationaler, vor allem jünger. 240 der 420 Mitglieder des TC Europaviertel sind Kinder und Jugendliche. Eine solche Blüte wie der am Römerhof gelegene Klub hat in den vergangenen Jahren kein anderer Verein in und um Frankfurt erlebt – die Mitgliederzahl hat sich in nicht einmal acht Jahren mehr als verzehnfacht. Als einst 38 Tennisspieler noch eine Abteilung der DJK Schwarz-Weiß Griesheim bildeten, mussten sie vorübergehend von der Fußballabteilung subventioniert werden. Inzwischen ist der Tennisverein eigenständig, steht finanziell gut da und expandiert, so gut es geht. „Wir hatten die Wahl, den Verein früher oder später dichtzumachen oder in die Offensive zu gehen“, sagt Vereinsvorsitzender Rainer Haushofer.

„Mit den Kindern kam der große Boom“

Kampflos aufgeben wollte niemand. Also verteilten die Mitglieder im Europaviertel Flugblätter, bauten im Einkaufszentrum Skyline Plaza ein Netz auf und spielten an einem gut besuchten Samstag werbewirksam mit Softbällen, gingen eine Kooperation mit einer umtriebigen Tennisschule sowie der Grundschule am Rebstock ein. „Mit den Kindern kam der große Boom“, sagt Haushofer. Inzwischen gerät das Wachstum allerdings an eine Grenze, der TC Europaviertel kann keine Mitglieder mehr aufnehmen. Wer eintreten will, kommt auf eine Warteliste und muss sich gedulden, bis jemand austritt – oder bis die Anlage im kommenden Frühjahr hoffentlich um zwei schicke neue Plätze erweitert sein wird.

Der Aufschwung des Vereins im wachsenden Europaviertel, wo die Einwohnerschaft international ist und gut verdient, mag außergewöhnlich sein; er gibt aber einen seit Jahren anhaltenden Trend in Frankfurt wieder. Tennis lockt die Leute, blutige Anfänger ebenso wie frühere Könner, die nach vielen Jahren Pause wieder zum Schläger greifen. Die Öffentlichkeit hat das lange nicht mitbekommen, ebenso das Sportdezernat, das erst vor wenigen Jahren den Bedarf an neuen Spielmöglichkeiten erkannt hat. Man hatte sich halt immer weitererzählt und geglaubt, dass Tennis auf dem absteigenden Ast wäre. Selbst dann noch, als die Realität anders aussah.

So ist die Mitgliederzahl der 42 Vereine des Tennisbezirks Frankfurt (dazu zählt auch Bad Vilbel) zwischen 2015 und 2022 um sagenhafte fast 45 Prozent auf 14.970 gestiegen; in diesen Tagen, wenn die neue Freiluftsaison beginnt und noch mehr Aktive ihre Spielfreude entdecken, dürften es sogar noch mehr sein. „Wir sind der erfolgreichste Tennisbezirk Deutschlands“ behauptet Reimund Bucher, Vorsitzender eben jenes Tennisbezirks Frankfurt (TBF). Das könnte stimmen, lässt sich aber nicht belegen. Niemand führt eine Statistik mit vergleichbaren Zahlen.

Wie auch immer: In Frankfurt hat Tennis nicht nur seinen dritten Rang unter den Sportarten hinter Fußball und Turnen gefestigt, sondern zählte 2022 so viele eingetragene Spieler wie nie zuvor. Mehr als im bisherigen Spitzenjahr 1992, also zu jenen Zeiten, in denen Boris Becker und Steffi Graf das ganze Land begeisterten und die im Nachhinein mit dem Begriff „Becker-Boom“ bezeichnet und ein Stück weit verklärt werden.

„Den damaligen Tennisboom ausgelöst haben Turnvereine und andere, die entdeckt haben, dass Tennis kein Elitesport mehr ist, sondern Breitensport“, sagt TBF-Vorsitzender Bucher. Dadurch, dass die Vereine schon seit Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre immer mehr Tennisplätze gebaut hätten, seien sie auf die dank der Erfolge von Becker und Graf schwungvoller steigende Nachfrage vorbereitet gewesen. „Plätze zu erweitern, war damals einfach“, sagt Bucher.

Was damals noch vergleichsweise einfach möglich war, ist heute eine große Herausforderung. Frankfurt ist verdichtet, die Flächen für Wohnen und Freizeit werden immer begrenzter, Sportstätten können nur in geringem Maß erweitert werden. Mit Hilfe der Stadt haben die Vereine in den vergangenen Jahren eifrig aufgerüstet, um die Nachfrage bedienen zu können. Im Rahmen der sogenannten Tennisoffensive 1.0. wurden von 2016 bis 2021 im Tennisbezirk 23 neue Hallenplätze sowie elf Außenplätze errichtet; dafür wurden ungefähr 12,5 Millionen Euro investiert. Oft teilten sich Verein, und die Stadt Frankfurt die Investitionssumme.

„Von 2017 bis 2021 wurden insgesamt 5,2 Millionen Euro zum bedarfsorientierten Ausbau der Anlagen der Tennisvereine zur Verfügung gestellt“, erklärt Michael Hess, zuständiger Abteilungsleiter im Frankfurter Sportamt. Das Land Hessen tat das Übrige, sodass Vereine Tennishallen bauen oder Traglufthallen kaufen konnten. „Die Vereine haben sich bei allem Wettbewerb ausgetauscht und gegenseitig beraten. So etwas hat es vorher nicht gegeben“, sagt Bucher. Bis auf eine Handvoll Vereine, für die wegen ihrer ungünstigen Lage wohl jede Hilfe zu spät kommt, haben alle profitiert.

Im Zuge der Tennisoffensive ist TuS Makkabi fast so stark wie der TC Europaviertel, auch die Steigerungen der Tennisabteilungen von Frankfurter Großklubs wie SC 1880 (plus 40 Prozent auf mehr als 1300 Mitglieder) und Eintracht (plus 68 auf knapp 800) in den vergangenen fünf Jahren sind mehr als beachtlich. Eine Reihe der Vereine ist inzwischen nahe an der Kapazitätsgrenze oder hat sie sogar schon überschritten. Das heißt: Aufnahmestopp – neue Interessenten müssen draußen bleiben. Einige Klubs nehmen schon gar nicht mehr an der bundesweiten Kampagne „Deutschland spielt Tennis“ am letzten April-Wochenende teil, die der Deutsche Tennis Bund 2007 zu Zeiten des Mitgliederschwunds initiiert hatte, um wieder vermehrt Interesse an der Sportart zu wecken.

Die steigende Mitgliederzahl erklärt sich zum Teil aus der Corona-Pandemie. Trotz aller Kontaktbeschränkungen war das Tennisspielen in Hessen bis auf wenige Wochen fast durchgängig erlaubt. Dies sicherte hiesigen Tennisvereinen im Corona-Winter 2020/21 das Überleben, schließlich mussten die für teures Geld errichteten Tennishallen ausgelastet und Einnahmen generiert werden. Hinzu kommt eine städtische Spezialität: Frankfurt wächst. Und je mehr Einwohner, desto mehr Tennisspieler. So weit, so gut.

Schon bald allerdings könnte die Lage verzwickter werden. Wächst nämlich Frankfurt wie bis vor Kurzem erwartet bis zum Jahr 2030 um 40.000 Einwohner, dann werden auch neue oder größere Sportanlagen nötig. Da rechnerisch auf 1000 Einwohner 20 Tennisspieler kommen, sind also in den nächsten Jahren bis zu 800 Zuzügler zu erwarten, die auf den Filzball einschlagen wollen. Da die Vereine im Schnitt mit 50 Mitglieder je verfügbaren Platz kalkulieren, müssten demnach in den kommenden sieben Jahren folglich 16 neue Tennisplätze entstehen. Aber wohin damit? Dies gilt es zügig zu klären. Insofern ist es aus Vereinen eine Erleichterung zu vernehmen, dass Mike Josef auch dann Sportdezernent bleiben will, wenn er sein Amt als Oberbürgermeister antritt.

Das Sportamt unterstützt die Tennisoffensive, Teil zwei. Nachdem die Stadt im vergangenen Jahr 400.000 Euro für den Ausbau der Tennisinfrastruktur bereitgestellt hat, liegen ihr 2023 Anträge von etwa 500.000 Euro als Zuschüsse vor. Dank der neuen und geplanten Plätze können die vielen Leute, die sich in Frankfurt dem Tennis zuwenden, ein sportliches Zuhause finden. Vielleicht nicht direkt um die Ecke, sondern ein paar Fahrradminuten entfernt. „Wir werden weiter Bedarf haben“, sagt Rainer Haushofer als Vorsitzender des TC Europaviertel. „In fünf Jahren werden uns auch sechs Plätze nicht mehr reichen.“ Und dann ist da auch noch das Vereinsheim. Es ist nicht nur schmucklos und im Winter ohne Warmwasser. Es bietet auch gerade mal Platz für 80 Personen.

Quelle: F.A.Z.